Mittwoch, Oktober 29, 2025

adieu.

Ich bin offiziell Patientin Null des Büro-Seuchen-Clusters 2025. Irgendwelche Viren haben beschlossen, dass mein Immunsystem ein Freizeitpark ist, und ich sitze hier, schniefend, mit glasigen Augen und der Energie eines halb aufgeladenen Handys. Aber natürlich noch in der Firma. Weil Vernunft offensichtlich etwas für Menschen mit Temperatur unter 38 Grad ist. Jeder Atemzug klingt wie ein alter Kühlschrank, die Nase läuft, die Glieder schmerzen und mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand Watte und Weltschmerz darin kombiniert. Ich beantworte Mails in Zeitlupe, trinke literweise Tee und überlege, ob ich mich gleich einfach unter den Schreibtisch legen soll, bis jemand mich nach Hause trägt. Kurz gesagt, es geht zu Ende. Es war schön mit Ihnen. Erzählen Sie meine Geschichte!

Dienstag, Oktober 28, 2025

dazwischen.

Vorher war die Welt noch ganz. Sie hatte Ecken und Kanten, an denen man sich festhalten konnte. Geräusche, die Sinn ergaben. Luft, die nach Alltag roch. Man ging durch die Stunden, ohne zu ahnen, dass man sie eines Tages zählen würde. Alles war beiläufig. Gespräche, Bewegungen, das eigene Atmen. Vielleicht war sogar Leichtigkeit da, dieses unbewusste Vertrauen, dass nichts Schlimmes passieren kann, solange man noch lacht. Man trat hinaus mit offenen Schultern, nicht nur weil man mutig war, sondern weil das Leben sich nicht gefährlich anfühlte. Und irgendwo zwischen Routine und Unachtsamkeit vibrierte etwas. Ein leises Unstimmigsein, kaum hörbar. Man ging darüber hinweg, weil man funktionieren wollte. Weil man glaubte, man habe Kontrolle. Und dann nur ein Klicken. Nur eine feine Verschiebung in der Atmosphäre, wie das Abfallen des Luftdrucks vor einem Gewitter. Das Herz beginnt, anders zu schlagen. Der Körper spürt es zuerst. Der Verstand ist noch höflich, lächelt. Und dann ist es zu spät.

Nachher ist alles still. Aber nicht diese gute Stille, die nach Frieden klingt. Sondern die Stille, in der nichts mehr atmet. Die Welt sieht gleich aus, aber sie berührt anders. Die Luft ist dieselbe, aber sie schneidet. Geräusche sind zu laut, Licht flackert, der Alltag klirrt gegen die Haut. Man sitzt in sich wie in einem brennenden Haus, das von außen unversehrt aussieht. Der Körper? Kein Zuhause mehr. Archiv. Eine Lagerhalle für Erinnerungssplitter. Ein Ort, den man meidet, obwohl man ihn trägt. Vorher war Vertrauen ein Zustand. Nachher ist es Arbeit. Vorher war man jemand. Nachher, jemand, der alles erinnert, ohne es fühlen zu dürfen. Denn Fühlen würde bedeuten, zurückzugehen. Und es gibt keinen Rückweg. Also legt man Schichten über die Haut. Viele Schichten. Zwischen sich und die Welt. Man lacht im Supermarkt, sagt: "Mir geht’s gut", obwohl man längst nicht mehr weiß, was das heißt. Überleben macht keinen Lärm. Es steht nicht auf, es ruft nicht um Hilfe. Es sitzt still in der Ecke und hofft, dass niemand merkt, dass etwas fehlt. Und an guten Tagen? An guten Tagen fühlt es sich fast an wie Leben. Aber nur fast.

Samstag, Oktober 25, 2025

fehlen.

Wenige Menschen hinterlassen keine Lücke, sie hinterlassen einen tiefen Abdruck. Wie eine warme Decke, die immer da war. Wie das weiche Licht, das morgens durchs Küchenfenster fiel, wenn sie schon längst wach war. Meine Oma war so ein Mensch. Sie war nicht laut. Aber wenn sie etwas sagte, dann blieb es. In mir. In der Art, wie ich manchmal meinen Tee halte. In der Stille, die ich heute auszuhalten gelernt habe. In dem Blick, mit dem ich manchmal andere anschaue, bevor ich etwas sage. Weil sie es auch so gemacht hat.

Seit fast zehn Monaten ist sie weg. Und es gibt Tage, da ist das nur ein Gedanke, der still neben mir sitzt. Und dann gibt es Tage, an dem alles ein bisschen grauer klingt. An dem die Welt so wirkt, als hätte sie ihren festen Halt verloren. An dem ich denke, ich könnte sie nochmal anrufen, um kurz ihre Stimme zu hören. Nur kurz. Nur ein bisschen Zuversicht durch die Leitung, wie früher. Sie fühlte sich immer an wie eine Umarmung.

Sie fehlt nicht wie ein Knall. Sie fehlt wie eine leise, zähe Sehnsucht. Wie eine Stelle im Herzen, die einfach nicht heilt, aber ruhig bleibt. Sie war nicht der Mensch, der sich in den Vordergrund drängte, sie war die, die im Hintergrund alles zusammenhielt. Und manchmal wünsche ich mir, sie wäre noch da, einfach um ihr zuzusehen. Wie sie in der Küche steht. Wie sie ihren Satz zu Ende denkt. Wie sie meine Hand nimmt, ohne dass ich erklären muss, warum mir gerade alles zu viel ist. Ich trage sie mit mir. In meinem Blick. In meiner Art, Menschen zu halten, wenn sie fallen. In meinem leisen Wissen, dass Stärke nicht immer laut ist, sondern manchmal einfach nur da.

Scheisse, Du fehlst mir.

Freitag, Oktober 24, 2025

Liebe im 21.Jahrhundert.

Liebe im 21. Jahrhundert. Sieht regelmäßig ein bisschen aus wie ein geteiltes Google-Kalenderblatt. Hier - ein Spagat zwischen Patchwork-Familie und Job, zwischen Deadline und Date-Night. Spannend finde ich, etwa 1 von 10 Familien in Europa lebt in einer Patchwork‑Konstellation. Über 35 % aller Ehen werden aktuell geschieden und rund 16 % der minderjährigen Kinder in Deutschland wachsen heute mit Stiefeltern oder in einer neuen Partnerkonstellation auf. Kindfreie Wochenenden werden gehandelt wie seltene Pokémon-Karten, Termine jongliert wie brennende Fackeln.

Knapp 70 % der Deutschen sagen, dass Zeitmangel die größte Herausforderung für ihre Beziehung ist. Mehr als 60 % verbringen weniger als eine Stunde bewusste Zeit täglich mit ihrem Partner. Es ist ein permanentes Austarieren. Man schickt Küsse als Sprachnachricht im Auto, plant Zärtlichkeit zwischen zwei Calls und freut sich über ein gemeinsames Frühstück, als wäre es ein Miniurlaub. Komplimente kommen per WhatsApp, Streit wird bei zu wenig Zeit auf „nachher“ vertagt. Man verhandelt, schiebt, priorisiert und hat manchmal das Gefühl, gegen die Kalender-App und den Alltagswahnsinn zu verlieren. Studien zeigen, dass moderne Beziehungen zunehmend Arbeit bedeuten. Kommunikation, Planung, Aushandlung und nicht mehr bloß Gefühle.

Trotzdem bleibt etwas. Vielleicht ist es gerade dieses Möglichmachen, das zählt. Die kleinen Pausen. Das Wissen, dass Nähe heute kein Selbstläufer mehr ist, sondern ein Plan, der immer wieder gegen das Leben antritt. Und manchmal reicht ein einziger gemeinsamer Tag, damit sich alles wieder richtig anfühlt. Ich denke, genau das ist das am Ende Liebe. Nicht Perfektion, sondern der Wille, sich immer wieder neu füreinander zu entscheiden. Mitten im Chaos, zwischen Sprachnachrichten, WhatsApp, Alltag, Projekten, Unruhe und Meetings.

Donnerstag, Oktober 23, 2025

morgenrituale.

Dieser Moment morgens in der Küche. Er trinkt seinen Kaffee aus der French Press, schmiert sich sein Brot fürs Office, es laufen Nachrichten. Wir sitzen am Tisch und diskutieren meist immer noch 20Minuten über gesellschaftspolitische Themen, die gerade thematisiert wurden oder reden darüber, was uns gerade beschäftigt. Es gibt noch ein paar Küsse und feste Umarmungen, bevor jeder in seinen Joballtag startet. Ich liebe wirklich alles daran. Unser kleines Morgenritual.

Mittwoch, Oktober 22, 2025

dinge.

Es sind nie die großen Gesten, die etwas besonders machen. Oft sind es die kleinen Dinge, die fast übersehen werden. Ein Satz, der hängen bleibt. Ein Blick, ein Kuss, eine zufällige Berührung zwischendurch. Das Kind, das Geburtstage notiert, die nicht ihre eigenen sind. Das beiläufige Wir. Manchmal merkt man erst später, dass man längst dabei ist ein Team zu werden. Nicht, weil man es geplant hat, sondern weil man aufgehört hat, gegeneinander zu laufen. Und plötzlich fühlt sich alles selbstverständlich an.

Dienstag, Oktober 21, 2025

anker.

Es gibt Erlebnisse, die fühlen sich an, als gehörten sie jemand anderem. Wie eine fremde Geschichte im eigenen Kopf. Man erinnert sich an alles, aber nichts davon sitzt wirklich in der eigenen Haut. Fragebögen werden schnell und rational ausgefüllt, als würde Geschwindigkeit schützen. Das Gefühl bleibt draußen, wie durch eine Scheibe. Es ist ein Schutzmechanismus: Lieber Beobachter sein als Betroffene. Irgendwo weiß ich, dass es meine Geschichte ist. Aber sie fühlt sich an wie ein Film, bei dem ich nur zuschaue. Kein Versagen, kein Fehler, sondern ein ziemlich kluger Trick des Kopfes, damit der Alltag weiterläuft. Dissoziation. Der Kopf zieht einen Schleier, damit man atmen kann. Handlungsfähig bleiben, statt unterzugehen, weil das, was zu groß ist, erstmal ausgelagert wird. Vielleicht holt es einen irgendwann ein, vielleicht auch nicht. Es ist, wie es ist.

Im dritten Bogen steht die Frage nach Suizidgedanken. Ich bleibe an dieser Zeile hängen. Wussten Sie, dass über ein Drittel der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, laut internationaler Studien von Suizidgedanken berichten? Und etwa 13 Prozent einen Suizidversuch unternommen haben? Die Untermieterin ist mein unsichtbarer Anker, der alles hält. Felsenfest. Und dann gibt es Menschen, die nicht nachfragen, sondern einfach bleiben. Die die Schwere, die manchmal spürbar ist, nicht wegreden, aber auch nicht dramatisieren. Die einfach sagen: Ich bin für Dich zuständig, wir gehen den Weg gemeinsam. Mehr braucht es nicht. Am Ende bleibt dieser merkwürdige Trost, dass beides sein darf. Dass ich nicht erklären muss, warum es manchmal schwer ist, und trotzdem aus tiefstem Herzen lachen kann. Distanz und Nähe. Manchmal reicht das. Traumatherapie, here we come. Vielleicht zeigt sie am Ende genau das. Was bleibt, was geht, was irgendwann näher rückt und was nie ganz verschwindet.

ewig.

Man kann ziemlich lange so tun, als hätte man ewig Zeit. Entscheidungen werden auf einen Haufen gelegt, ordentlich geschichtet, nichts eilt, nichts drängt. Zeit genug, denkt man, bis alles von selbst verschwindet. Aber aufgeschobene Schnitte bleiben scharf, auch wenn man sie nicht sieht. Irgendwann muss man sich halt mal kümmern. Funktioniert erstaunlich gut, solange niemand nachfragt und das Leben im Provisorium okay ist, während draußen das Leben wartet. Am Ende ist es nur ein Gefühl, dass alles offen bleibt, weil niemand den letzten Schlüssel dreht. Die eigentliche Arbeit liegt in dem, was man nicht erledigt. Schnitte, die warten. Räume, die halb leer bleiben, weil noch zu viel Altes drinsteht. Irgendwann merkt man, dass man sich eingerichtet hat im Warten, dass kein neuer Anfang kommt, solange der letzte Schritt fehlt. Und dann sitzt man da, zwischen alten Kartons und dem Gedanken, dass das ja irgendwann noch geregelt wird. Nur irgendwann reicht’s nicht mehr und niemand lebt ewig. 

Montag, Oktober 20, 2025

loyalität.

Alte Geschichten, neue Rollen. Plötzlich steht jemand neben Dir und testet, wie stabil Dein Boden ist. Es geht selten um den Mann, fast nie um Liebe. Meistens um Bestätigung, Wert, Aufmerksamkeit. Wer sich selbst nicht genug ist, braucht den Blick von außen. Und manchmal reicht die eigene Bühne nicht mehr, dann wird beim anderen ausprobiert, ob da noch was zu holen ist. Das hat wenig mit Vertrauen zu tun und viel mit Angst, übersehen zu werden. Grenzen werden getestet, Loyalität steht auf dem Prüfstand. Wer bleibt, muss wissen, was es kostet. Und irgendwann entscheidet man: Freundschaft oder Frieden. Aber nie beides gleichzeitig.

alarmmodus.

Mein Körper weiß es vor mir. Nicht das Denken, nur die Sirene. Alles ruhig, sagt der Raum, aber innen läuft ein Protokoll. Herz im Alarmmodus, Haut als Sensor. Schweißgebadet. Die Luft zu scharf, die Stille zu laut. Kein Bild, keine Erinnerung, nur Mechanismus. Der Körper kennt Gefahren, die längst vergangen sind. Ich bleibe still, bis er versteht, dass nichts mehr brennt. Zähle meinen Atem wie Datenpunkte, warte, bis das Rauschen im Ohr nachlässt. Irgendwann wird es leiser. Nicht gut, nicht schlecht. Einfach weniger laut. Dann kann ich wieder schlafen, während irgendwo in mir jemand die Tür schließt und das Licht löscht.

Sonntag, Oktober 19, 2025

Zuhause

Manchmal ist das kein Ort, sondern ein Gefühl. Kein Dach, kein Schlüssel, kein fester Punkt auf der Landkarte. Sondern jemand, bei dem alles still wird. Da, wo kein Druck mehr ist, nichts erklärt werden muss. Wo Nähe nicht erst verhandelt, sondern einfach da ist. Man erkennt es daran, dass man nicht mehr sucht. Dass man ankommt, obwohl man nie wusste, dass man unterwegs war. Und wenn dieser Mensch „zu Hause“ sagt und eigentlich uns meint, dann versteht man leise, dass es zwar gerade erst beginnt. Nicht nur in Worten. Sondern in allem dazwischen. Und sich trotzdem schon nach viel länger anfühlt.

Freitag, Oktober 17, 2025

fragmente.

Zwei Felder, vermessen von Erinnerung und Widerstand. Keine Linie gerade, kein Verlauf berechenbar. und doch fließt alles ineinander, wie Wärme durch Metall. Ich war Länge, er war Takt. Aus meinen Fragmenten baute er keine Ordnung, sondern Atem. In seinen Sätzen war Raum, nicht Versprechen, eher die Möglichkeit, nicht mehr zu müssen. Wir sind kein Paar. Kein Muster, kein Modell. Sondern ein eigenes Gleichgewicht. Ein System aus gegenläufigen Strömungen, das sich selbst stabilisiert, weil wir beide wissen, was kippen heißt. Nähe ist Experiment, kein Fluchtpunkt. Ich lerne, dass Kontrolle nichts anderes ist als die schönste Form von Angst. Und er hat sie mir zurückgespiegelt, dass ich sie nicht mehr brauche. Wenn ich ihn ansehe, verliert der Raum kurz seine Schwerkraft. Nicht weil Liebe leicht wäre, sondern weil sie in diesem Moment keine Beweislast trägt. Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem man bleiben kann.